Lagerhaus G – ein Ausstellungsprojekt
Im digitalen Wintersemester 2020/21 haben sich Studierende unter Leitung von Dr. Anke Rees einer besonderen Aufgabe gestellt: "Curating the Invisible"! Im Projektseminar haben sich 13 Studierende der Universität Hamburg mit der Geschichte des Lagerhauses G auseinandergesetzt. Das Lagerhaus G ist ein im Jahr 1903 errichteter Bodenspeicher am Dessauer Ufer, einem Teil des ehemaligen Freihafengeländes in Hamburg. Von 1944 bis 1945 diente es als Außenlager des KZ Neuengamme. In ihm waren ca. 3500 Häftlinge untergebracht. Die verschiedenen Facetten des Gebäudes und seine Potenziale als Erinnerungs- und Gedenkort zu untersuchen, haben sich Bachelor- und Masterstudierende aus den Geschichts- und Kulturwissenschaften zur Aufgabe gemacht.
Die digitale Ausstellung ist auf dieser Website abrufbar: http://www.lagerhaus-g-hamburg.de/
Im Interview berichten Projektleiterin Dr. Anke Rees und Seminarteilnehmer Manuel Bolz von den Herausforderungen und Zielen.
Sie haben ein Projektseminar zum Lagerhaus G organisiert bzw. daran teilgenommen. Was verbirgt sich dahinter?
Anke Rees: Dieses Lehrformat, das wir im Arbeitsfeld „Public History“ anbieten, eröffnet Studierenden die Möglichkeit, unabhängig von den in den Geschichtswissenschaften eher üblichen Seminarformen und doch gleichzeitig im geschützten Umfeld eines universitären Lernraums zu arbeiten. Sie haben die Chance, etwas im Team zu entwickeln, zu diskutieren und umzusetzen, das nach Außen sichtbar wird – mit der Option, dabei auch scheitern zu dürfen. Es geht also neben den Inhalten des Themas vor allem ums Ausprobieren und Wagen, um Streitkultur und darum, sich auf Neues einzulassen. Das ist eine sehr praktische Lernform mit hohem Selbsterfahrungswert. Bestenfalls verfügen die Teilnehmenden am Ende über einige neue „social and soft skills“.
Ziel des Seminars war es, das Unsichtbare des Lagerhauses G in einer Online-Ausstellung sichtbar werden zu lassen, allen voran durch die Erinnerungserzählungen der ehemaligen KZ-Häftlinge. Es ging um die Fragen: Was für ein Ort ist das? Welche Geschichte und wessen Geschichten wollen wir erzählen? Auf welche Weise und für welche Zielgruppe? Wie soll diese Geschichte vermittelt werden – wollen wir dokumentieren, einordnen, analysieren oder kommentieren, was dort geschehen ist und derzeit passiert? Auf diese Weise setzten sich die Teilnehmenden nicht nur inhaltlich mit der Zeit des Nationalsozialismus und seinen Ausprägungen in Hamburg auseinander, sondern auch auf einer theoretischen Ebenen z.B. mit Fragen des Geschichte-Schreibens, den Grundlagen des Kuratierens und des Projektmanagements.
Manuel Bolz: Das Lagerhaus G ist vor allem im Kontext aktueller Stadtentwicklung in Hamburg und der Umstrukturierung des Kleinen Grasbrook von Bedeutung. Über die Möglichkeiten hinaus, die Potenziale des Gebäudes als einen lokalen Erinnerungsort für die Brutalität des Nationalsozialismus sichtbar zu machen, interessierte mich auch der Praxischarakter des Seminars. So lernte ich neben der Arbeit mit historischen Quellen auch eine Menge über die Wissensvermittlung von sensiblen Inhalten im digitalen Raum, Fragen nach der Darstellbarkeit von Gewalterfahrungen im NS und das Ausstellen von Bildern, Medieninhalten und Text.
Wie sind Sie auf das Thema Lagerhaus G gekommen?
Rees: Das Lagerhaus G ist aktuell eines der interessantesten Gebäude in Hamburg. Durch seine Vergangenheit als Außenlager des KZ-Neuengamme hat es eine weit über Hamburg hinausreichende Geschichte. Zudem ist es in zahlreiche, teils aktuelle Diskussionen von der Erinnerungskultur bis zur Stadtentwicklung eingebunden. Wir haben es also mit einem Ort zu tun, der mit Bedeutungen und Zuschreibungen aufgeladen ist – also ein hochgradig diskursiver Raum. Gleichzeitig gibt es jedoch dazu vor Ort nichts Greifbares: keine Artefakte zur Geschichte und schon gar keine Leitobjekte, nicht mal ein konkretes Nutzungskonzept. Es gibt lediglich dieses massive, an sich leere und baulich unveränderte Speichergebäude selbst. Das Lagerhaus G ist insofern noch nicht ausdefiniert und nahezu frei von Setzungen. Das macht es zum Möglichkeitsraum – ideal für ein digitales Projektseminar, in dem eine virtuelle Ausstellung erarbeitet werden soll.
Was genau wollten Sie im Seminar untersuchen?
Bolz: Das Oberthema und die Fragen danach, was im Lagerhaus G steckt und was man über den umstrittenen Ort weiß, waren natürlich von vornherein abgesteckt, um eine digitale Ausstellung innerhalb eines Semesters realisieren zu können. Wir als Teilnehmer*innen hatten jedoch den kreativen Freiraum, über die historisch-kulturwissenschaftlichen Perspektiven zu forschen, die für uns interessant waren und unsere Neugierde geweckt haben. Darüber hinaus entschieden wir selbst, welche Quellen wir benutzen, wie wir diese für unsere digitale Ausstellung aufbereiten und welche Erzählweisen wir über sie auswählen wollen.
In dem Gebäude im Hamburger Stadtraum steckt sehr viel Geschichte. Wir untersuchen das Lagerhaus G daher aus vielen verschiedenen Blickwinkeln, konzentrierten uns aber auf die Zeit des NS als KZ-Außenlager. So beschrieben wir nicht nur den Standort oder die Materialität des Gebäudes, die Bauweisen und die Bausubstanz, sondern wir stellten die Häftling und ihre biografischen Alltags- und Gewalterfahrungen in den Vordergrund unserer Ausstellung. Wir reflektierten aber auch unsere Quellenarbeit und fragten nach der Denkmalwürdigkeit des Ortes für die Zukunft.
Wie war das Seminar im digitalen Semester organisiert und wie lief es?
Rees: Es fand vierzehntägig statt, um vertiefend miteinander arbeiten zu können. Anwesenheit wurde durchgehend vorausgesetzt, da sich das Projekt aus den Sitzungen heraus immer weiterentwickelt. Das war intensiv und hat trotz einiger Corona-Krankheitsfälle sehr gut funktioniert. Die langen Sitzungen waren zweigeteilt organisiert: Im ersten Teil ging es um übergeordnete Themen, z.B. um Besonderheiten von digitalen Ausstellungen, Umgang mit Bildrechten oder die Frage, wie Geschichte vermittelt werden kann. Im zweiten Teil, nach einer Pause, wurden über die Recherchen der Teilnehmenden gesprochen, in denen es gerade konkret um die zuvor behandelten Aspekte ging.
Bolz: Wir trafen uns dafür regelmäßig über die Plattform ZOOM, sammelten Ideen und tauschten Textentwürfe aus. Aufgrund der geschlossenen Bibliotheken und Archive mussten wir als Semiarteilnehmende kreativ werden, um an die Quellen zu kommen und verschickten daher bereits sehr früh Anfragen an Institutionen. Auch wenn es Momente gab, in denen der Zoom-Marathon ermüdend wirkte, stärkte die Diskussionsfreude innerhalb der Gruppe die Motivation. Da nach wie vor keine Präsenzveranstaltungen erlaubt sind, werden wir auch unsere Ausstellungseröffnung digital durchführen.
Info
Im Rahmen des Projektseminars erarbeiteten 13 Bachelor- und Masterstudierende verschiedene Aspekte rund um das Lagerhaus G. Herausgekommen sind über 30 Beiträge in unterschiedlichen Formaten aus Texten, Bildern, Filmen, Soundscapes und Interviewausschnitten. Die Ergebnisse sind zu sehen in der Online-Ausstellung „Curating the Invisible: Lagerhaus G“, zu finden unter www.lagerhaus-g-hamburg.de. Betreut wurde das Seminar von der Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Anke Rees aus Hamburg, die unter anderem im Arbeitsfeld „Public History“ an der Universität Hamburg lehrt. In dem Projektseminar wurden historische, kulturwissenschaftliche und kuratorische Inhalte eigenverantwortlich von den Teilnehmenden bearbeitet. Das Seminar diente der Verknüpfung und Vermittlung von theoretischem und praxisorientiertem Wissen. Die Studierenden erhielten 5 Leistungspunkte.