Von "Gastarbeitern" und Wegbereitern – ein Temporary History Lab
Warum sind seit den 1950er-Jahren „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ nach Harburg gekommen und hiergeblieben? Wie haben sie gelebt und gearbeitet? Und inwiefern waren die „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ von damals die Wegbereiterinnen und Wegbereiter für die heutige migrantische Vielfalt in Harburg? Diesen Fragen widmet sich ein Temporary History Lab.
Aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei kamen Menschen, um hier zu arbeiten. Seit den 1950er-Jahren wurden sie als sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter angeworben. Einige gingen in ihre Herkunftsländer zurück, andere blieben hier – und sie alle trugen einen Teil zu Deutschlands Wohlstand bei. Nur wenige von ihnen waren Frauen.
„Doch wir wissen viel zu wenig von ihnen und ihren Geschichten“, sagt Nils Steffen, Historiker an der Universität Hamburg und Initiator des Projekts. Mit den Studierenden der Public History hat er sich auf die Suche nach historischen Spuren der sogenannten Gastarbeiter gemacht – und wenig gefunden. Projektpartner Stephan Kaiser vom Kulturhaus Süderelbe betont: „Migrationsgeschichte ist im Hamburger Süden zwar ein wichtiges Thema, aber eines, das bislang kaum erforscht ist.“
Fast 50 Prozent der Harburgerinnen und Harburger haben eine Migrationsgeschichte. Aus den „Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern“ von damals, ihren Kindern, ihren Enkelinnen und Enkeln sind heute vielfach Gastgeberinnen und Gastgeber geworden. Denn viele von ihnen betreiben Arztpraxen, Restaurants, Friseursalons oder Schneidereien. Sie sind zu einem alltäglichen und unersetzlichen Teil der Bevölkerung Harburgs geworden.
Das Temporary History Lab bringt Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Spuren aus der Geschichte treffen auf Stimmen von heute. Die Geschichtsstudierenden der Universität Hamburg haben hierzu Interviews mit Unternehmern aus der Region geführt. Das Projektteam lädt die Besucherinnen und Besucher zum Entdecken, Nachdenken und Mitmachen ein: Gesucht werden Erinnerungen, historische Dokumente und Fotos zur Migrationsgeschichte im Bezirk seit den 1950er-Jahren.
Das Temporary History Lab wird am 6. September um 16:00 Uhr durch Sophie Fredenhagen, Bezirksamtsleiterin, eröffnet. „Von ‚Gastarbeitern‘ und Wegbereitern“ ist ein Projekt des Arbeitsfeldes Public History der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus Süderelbe. Es wird unterstützt durch die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, das Bezirksamt Harburg, die Lokalen Partnerschaften Harburg & Süderelbe sowie Unternehmer ohne Grenzen e. V.
Öffnungszeiten
Geöffnet zu den Öffnungszeiten des Harburger Rathauses:
Montag bis Donnerstag: 6:00 bis 17:00 Uhr
Freitag: 6:00 bis 15:00 Uhr
Rathaus Harburg, Harburger Rathausplatz 1, 21073 Hamburg
Events
Eröffnung am 6. September 2023 um 16.00 Uhr
Eröffnung des Temporary History Lab durch die Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen
Rathaussaal, Rathaus Harburg
Lesung & Diskussion der Daughters and Sons of Gastarbeiters am 8. September 2023 um 18.30 Uhr
Sie folgten ihren Eltern aus den Dörfern Anatoliens, Südeuropas, des Balkans nach Deutschland oder kamen in einem Arbeiterviertel der Bundesrepublik zur Welt. Ihre Väter und Mütter sollten in Deutschland als „Gastarbeiter*innen“ den Wirtschaftsaufschwung beflügeln. Ihr Kapitel ist ein wichtiger Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte. Höchste Zeit, ihren Erinnerungen ein Forum zu bieten!
Zu Gast im Temporary History Lab sind:
- Dr. Çiçek Bacik, 1972 in Almus/Tokat geboren, ist Co-Initiatorin und Leiterin der Daughters and Sons of Gastarbeiters. Sie studierte Neuere Deutsche Literatur und Französische Philologieund promovierte über türkische Fernsehsender in Deutschland. Sie ist Co-Herausgeberin und Autorin von „Intercity Istanbul Berlin“ (2010). Sie arbeitet in Berlin als Grundschullehrerin.
- Rukiye Cankiran, 1971 in Hamburg geboren, studierte Angewandte Kulturwissenschaften und arbeitete als Dolmetscherin, Übersetzerin und Journalistin. Seit 2015 arbeitet sie in Frauenprojekten für Migrantinnen. Bei Terre des Femmes und im Migrantinnen Bund Hamburg e. V. engagiert sie sich für die Rechte der Frau.
- Koray Yılmaz-Günay ist seit den frühen 1990er Jahren Aktivist, Publizist und politischer Bildner. Er ist Leiter der Geschäftsstelle des Migrationsrats Berlin-Brandenburg und gründete 2015 seinen Verlag Yılmaz-Günay.
Die Lesung findet im Anschluss an das Harburger Rathausfest statt. Eintritt frei.
Offenes Treffen: "Erzähl‘ deine Geschichte!" am 18. September 2023, 15–18.00 Uhr
Das Temporary History Lab sammelt Migrationsgeschichten aus Harburg
Rathaus Harburg, 1. OG
Film & Diskussion mit Nedim Hazar: "Deutschlandlieder – Almanya Türküleri" am 26. September 2023 um 18.00 Uhr
Weder Schlager noch Nationalhymnen. Deutschlandlieder sind unfassbar schöne Lieder der türkischen und kurdischen Einwanderer:innen über die Liebe, das Leben, den Tod und das Feiern in Deutschland. Songs, die der Mehrheitsgesellschaft allerdings Jahrzehnte lang verborgen blieben.
Rund zehn Stars verschiedener Generationen der Türkeistämmigen aus unterschiedlichen Musikstilen kamen aus Anlass des 60. Jahrestags des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens zusammen – von einem 85-jährigen Volkssänger bis zu einer feministischen jungen Rapperin. Begleitet wurden sie von einer international besetzten Rockband, einem Streichquartett und ethnischen Instrumentalisten. Sie gastierten gemeinsam auf begehrten Bühnen in Köln, Essen, Bonn, Stuttgart, Hamburg, Rudolstadt, Berlin und Istanbul zwischen 2021-2022.
Mit dabei war Filmemacher Nedim Hazar – in den 1980er Jahren Sänger der ersten deutsch-türkischen Rockband Yarinistan. Hazar und sein Team dokumentierte diese einmalige Konzertreihe filmisch, nahm die Songs auf und sprach mit den Sänger:innen, darunter auch mit Hazars Sohn, dem Hip-Hopper Eko Fresh.
Etwa ein Dutzend Songs und ihre Interpret:innen stellen die dramaturgischen Meilensteine des Films dar: „Guten Morgen Maystero“ etwa handelt von den Arbeitsbedingungen unmittelbar vor dem Türkenstreik in den Fordwerken im Jahr 1973. „Ley Ley Liebe Gabi“ (1981) erzählt eine Romeo-Julia Geschichte ohne Happy-End. Der in der Türkei legendäre Song über das Leben im Exil „Çok Yorgunum - Ich bin sehr müde“ wurde 1983 in Deutschland komponiert.
Es lag nicht an der Sprache, dass diese Musik vom Mainstream über Jahrzehnte unbeachtet blieb. Denn bis auf die kurdischen Produktionen wurden viele der Songs längst auf Deutsch gesungen. Aber einerseits waren die Vertriebswege anders und andererseits war der Klang zu fremd für Caprifischer geschulte Wirtschaftswunderohren. So resümieren Psychologin Dr. Lale Akgün, Musikleiter des Multikultiradios WDR-Cosmo, Francis Gay und Politiker Cem Özdemir, der mit dieser, abseits der deutschen Hitparaden gespielten Musik aufwuchs.
Nach den Brandanschlägen in Mölln und Solingen in den 90er-Jahren wandte sich die junge Generation Hiphop und Rap als Ausdrucksmittel gegen Rassismus und Gewalt zu. Erci E. von Cartel und Kutlu Yurtseven sowie Rossi Pennino von Microphone Mafia aus dieser Zeit kommen mit live Stücken auf der Bühne vor. Gedreht wurden sie auch in den Milieus, aus denen ihre Songs stammen. „Ich bin so“, der Song der Düsseldorfer Rapperin Tice rüttelt auf und berührt durch ihre persönliche Geschichte. Ein Hörgenuss und visuelles Highlight des Films ist das Finale: Eko Fresh interpretiert sein Stück „Du bist anders“ live mit Streichquartett und Band.
Hamburgpremiere des Films und anschließende Diskussion mit Nedim Hazar
26. September 2023 um 18 Uhr
JOLA, Kulturhaus Süderelbe, Am Johannisland 2, 21147 Hamburg
Eintritt frei.
Offenes Treffen: "Erzähl‘ deine Geschichte!" am 28. September 2023, 15–18.00 Uhr
Das Temporary History Lab sammelt Migrationsgeschichten aus Harburg
Rathaus Harburg, 1. OG