Prof. Dr. Klaus Saul
In tiefer Trauer nehmen wir Abschied von Prof. Dr. Klaus Saul, der am 16. Mai 2025 im Alter von 86 Jahren in Hamburg verstorben ist.
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Zum Gedenken an Prof. Dr. Klaus Saul
In tiefer Trauer nehmen wir Abschied von Prof. Dr. Klaus Saul, der am 16. Mai 2025 im Alter von 86 Jahren in Hamburg verstorben ist. Klaus Saul war nicht nur ein geachteter Historiker, sondern auch ein äußerst geschätzter Hochschullehrer. Seine hohe Anerkennung verdankte er insbesondere seiner Menschlichkeit, seiner Integrität, seiner Offenheit und seinem feinsinnigen Humor – Eigenschaften, die auch seinen Enthusiasmus für die Geschichtswissenschaft prägten.
Klaus Saul wurde am 1. Januar 1939 in Stade geboren. Früh verlor er den Vater, seine Mutter führte den Laden ihres Mannes allein weiter. Diese Herkunft prägte seinen lebenslangen Sinn für Bodenständigkeit und seine zugängliche Art. Nach dem Abitur studierte er von 1959 bis 1964 Geschichte, Germanistik, Pädagogik und Philosophie an den Universitäten Göttingen, Bonn und Hamburg, eine breite geisteswissenschaftliche Ausbildung, die später seine interdisziplinäre Herangehensweise an historische Fragestellungen kennzeichnen sollte. 1964 bestand er das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien und bewies damit bereits früh seine pädagogische Berufung.
Die entscheidenden Jahre für seine wissenschaftliche Entwicklung verbrachte Klaus Saul am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Von 1964 bis 1972 war er wissenschaftlicher Assistent des renommierten Historikers Egmont Zechlin und zugleich von 1967 bis 1972 Mitarbeiter am Historischen Seminar. Seine 1971 mit der Bestnote summa cum laude ausgezeichnete Dissertation trug den Titel "Staat, Industrie, Arbeiterbewegung im Kaiserreich. Zur Innen- und Sozialpolitik des Wilhelminischen Deutschland 1903–1914". Mit diesem Werk legte er das Fundament für seinen sozialgeschichtlichen Ansatz zur Erforschung des Deutschen Kaiserreichs, den er später auch erfolgreich auf die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus anwandte und der fortan sowohl seine wissenschaftlichen Studien als auch seine Lehrtätigkeit maßgeblich bestimmte. Er gehörte damit zu den Pionieren einer modernen Sozialgeschichte, die nicht nur die großen politischen Entwicklungen, sondern auch die Lebenswelten gewöhnlicher Menschen in den Blick nahm.
Im Anschluss an seine Promotion weitete er seine wissenschaftlichen Schwerpunkte aus und griff dabei zunehmend auch pädagogisch-historische Fragestellungen auf. Besonders intensiv setzte er sich mit der Geschichte der Jugendpflege und der Lehrerbildung auseinander. Seine Publikationen lieferten wesentliche Beiträge zum Verständnis der Modernisierung in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Besonders hervorzuheben sind die von ihm gemeinsam mit Jens Flemming und Peter-Christian Witt herausgegebenen Sammelbände zu Arbeiterfamilien im Kaiserreich und zum Familienleben in der Weimarer Republik, die maßgebliche Impulse sowohl für die sozial- als auch für die geschlechtergeschichtliche Forschung auf diesem Gebiet gaben.
Klaus Saul engagierte sich außerdem intensiv in der akademischen Selbstverwaltung. Dass der Fachbereich Geschichte in den „68er“ Zeiten gut in die neuen Formen der Hochschulgestaltung hineinfand, war auch sein Verdienst. Auch in späteren Jahren wurde er als Mitglied zahlreicher Kommissionen stets als fachkundiger, moderierender und integrierender Kollege erlebt.
Nach seiner Promotion blieb Klaus Saul zunächst der Universität Hamburg verbunden und wurde 1973 zum Wissenschaftlichen Rat und Professor ernannt. 1977 erhielt er einen Ruf an die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Dort übernahm er den Lehrstuhl für Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, eine Position, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2004 mit großer Hingabe ausfüllte. Die Verbindung zu Hamburg blieb jedoch bestehen: 1990 wurde Klaus Saul zum Honorarprofessor der Universität Hamburg ernannt – eine Auszeichnung, die seine bleibende Bedeutung für das Historische Seminar würdigte.
Generationen von Studierenden nahmen an seinem Hauptseminar teil, das er im Semester immer donnerstags von 18 bis 20 Uhr im 9. Stock des Philturms abhielt. Man begegnete ihm häufig in der Staatsbibliothek, wo er – umgeben von Stapeln an Büchern und Zeitschriften – akribisch Quellen sichtete, die er später den Studierenden als ausführliche thematische Literatur- und Quellenlisten zur Verfügung stellte. Damit regte er sie immer wieder zu eigenständigem Forschen und kritischem Denken an. Besonders hervorzuheben war sein Verständnis von Quellen als „unserem“ empirischen Fundament, das nicht nur seine Arbeit charakterisierte, sondern auch die Studierenden nachhaltig begeisterte. Seine Sprechstunden genossen einen beinahe legendären Ruf: Trotz des großen Andrangs nahm er sich stets für jede einzelne Person ausreichend Zeit. Durch seine inspirierende Persönlichkeit und seinen wissenschaftlichen Ansatz entstanden zahlreiche Hausarbeiten sowie eine Vielzahl an Dissertationen und Habilitationen, die er häufig während der Semesterferien auf Amrum las. So wurde Klaus Saul zum prägenden Mentor zahlreicher deutscher Historikerinnen und Historiker.
Die enge Verbindung zwischen dem Wissenschaftler und seinen akademischen Weggefährtinnen und Weggefährten sowie den früheren Kolleginnen und Kollegen blieb auch in Klaus Sauls Ruhestand bestehen. Seine runden Geburtstage wurden im großen Kreis gefeiert, und im kleinen Rahmen traf man sich weiterhin in der „Luise“ oder zuletzt in der Brasserie des „Elysee“, um sich intensiv über aktuelle politische Entwicklungen auszutauschen.
Klaus Saul zeichnete sich durch sein unermüdliches Engagement als Historiker aus und verstand es, seine Faszination für historische Themen an nachfolgende Fachkreise weiterzugeben. Seine offene und kollegiale Haltung, seine Integrität sowohl in persönlicher als auch in wissenschaftlicher Hinsicht sowie sein wissenschaftliches Werk werden allen, die mit ihm in Kontakt kamen, dauerhaft in Erinnerung bleiben.