TP 2: Einnahme von Städten
TP2 Titel: Die Einnahme von Städten: Temporalitäten imperialer Gewalt im Mediterraneum
Projektleitung: Prof. Dr. Christoph Dartmann und Prof. Dr. Werner Rieß
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Dr. Theresia Raum
Rom kommt, Rom belagert, Stadt fällt – die schier endlose Wiederholung dieses Schemas steht hinter dem römischen Imperium und seinem den gesamten Mittelmeerraum umfassenden Herrschaftsgebiet. Die Geschwindigkeit seiner Ausbreitung und ihre scheinbare Mühelosigkeit faszinieren bis heute. Das Ergebnis aber täuscht über die Komplexität des Vorgangs hinweg. Hinter jeder Eroberung steht die Entscheidung, enorme Gewaltmittel, Gerät, Truppen und Tiere samt Verpflegung auf engem Raum zu konzentrieren, vor allem aber in der Zeit zu konzentrieren: Der Sturm auf die Mauern, das Durchbrechen der Tore, das Gemetzel und die Zerstörung, die nicht selten folgten, besonders wenn Rom eine Stadt einnahm – all das sind Phänomene einer in Zeit und Raum enorm verdichteten Gewalt, die den Vorgang einer Stadteroberung zum lohnenden Gegenstand der Untersuchung von Gewaltzeiten machen.
Das Vorgehen der römischen Truppen in der Antike war kein Einzelfall. Dass Eroberungen vor allem die Form der Einnahme von Städten annehmen, verbindet die römische Expansion mit den in vielem so anderen Eroberungen des mittelalterlichen Genua, das im Laufe des 12. bis 14. Jh. wichtige Küstenstädte besetzt und zu einem maritimen Reich ganz eigener Art formt. Mit der klassischen Landmacht Rom haben die einzig auf dem Seeweg verbunden genuesischen Niederlassungen nicht nur ihre mediterrane Lage gemein. Hier wird dort sind es Städte, die zu Zentren der imperialen Herrschaft werden und es sind Städte, deren Einnahme die Eroberungsdynamik und – so die Annahme des Teilprojektes – deren Zeitlichkeit prägt, etwa in Form von Ballungszeiten.
Aber nicht immer gelang diese Ballung von Gewalt und nicht immer war sie erwünscht. Vor den Toren der Stadt bricht sich die Zeit. So sehr, dass schon die Aussicht, tagein, tagaus vor den Mauern zu sitzen, abschreckend wirken konnte und andere, teils diplomatische Lösungen nahelegte. Mitunter konnte eine Belagerung sich Wochen und Monate hinziehen, es konnte – wie beim letzten Kampf gegen Karthago 146 v. Chr. – mehrere Jahre dauern, bis der Durchbruch gelang. Ein andermal ließ man sich bewusst Zeit und das langsame Ende durch Hunger und Krankheit trat an die Stelle unmittelbarer militärischer Gewalt, bis nach der Kapitulation der Rhythmus des Geschehens sich erneut änderte oder von ganz anderer Seite irritiert wurde. Der Kommune von Genua drohte im 12. Jahrhundert der Bankrott, weil sie in Barcelona eine Flotte überwintern lassen und finanzieren musste, die zur Belagerung von Almerìa und Tortosa ausgeschickt worden war.
Das Teilprojekt Einnahme von Städten widmet sich diesem Wechselspiel von An- und Entspannung und fragt, welche Rolle der Zeitlichkeit bei ausgewählten Eroberungen Roms und Genuas zukommt: Welche temporalen Strukturen prägten die Organisation von Menschen und Ressourcen vor, während und nach der Einnahme einer Stadt? Welche Probleme traten auf, wie wurden sie gelöst? Wie beeinflussten sich militärische und politische Rhythmen gegenseitig? Wie spiegeln sich die verschiedenen Rhythmen in den Quellen? Schließlich erlaubt besonders der Vergleich über die Jahrhunderte hinweg die Konzentration auf die Stadt als Ort der Reflexion und Erinnerung von Gewalt: Wie wird die Einnahme einer Stadt wahrgenommen? Schlägt sich die verdichtete Gewalt in besonderen Schilderungen und Rechtfertigungen nieder, gar in Epochenbrüchen?
Auf Grundlage vor allem der römischen und griechischen Historiographie untersucht Dr. Theresia Raum die Dynamik der imperialen Expansion Roms ab dem 2. Jh. v. Chr. Die Projektleiter Prof. Dr. Christoph Dartmann und Prof. Dr. Werner Rieß präsentieren das konzeptionelle Potenzial des Ansatzes in einer programmatischen Studie, die die aufgeworfenen Fragen um Aspekte neuerer Diskussionen um Zeitlichkeiten von Imperien erweitert und insbesondere die Möglichkeiten einer vergleichenden Perspektive reflektiert.