DFG-Projekt: Adel und Archive. Zu einer Sozialgeschichte der Archive
(zusammen mit dem LWL-Archivamt für Westfalen)
Die Archive und das Archivieren von Informationen erfreuen sich seit einiger Zeit besonderer Aufmerksamkeit seitens der Geistes- und Kulturwissenschaften. Man wird darin einerseits einen Reflex auf aktuelle gesellschaftliche und technologische Entwicklungen sehen können, andererseits gibt es auch zahlreiche fachinterne Gründe, die eine Beschäftigung mit Phänomenen der Wissensspeicherung und Informationsverarbeitung neu ins Zentrum des Interesses rücken. Meistens bleiben diese neueren Debatten jedoch stark gegenwartsbezogen, eine methodisch avancierte Aufarbeitung der Geschichte der Archive ist erst in jüngster Zeit in Gang gekommen. Das Projekt wird zur historischen Perspektivierung gegenwärtiger Archivverhältnisse einen wichtigen Beitrag leisten. Dazu verschiebt es den Fokus der Forschung in signifikanter Weise: Wo momentan überhaupt ausführlicher über die Geschichte von Archiven nachgedacht wird, stehen meistens die großen staatlichen Archive und ihre Entstehung seit dem Mittelalter im Zentrum (Palast-, Papst-, Königs- oder Gerichtsarchive).
Das Projekt verfolgt jedoch die These, dass der eigentlich entscheidende Wandel, den die Systematisierung des Archivwesens seit dem Spätmittelalter unbezweifelbar darstellte, nur angemessen gedeutet werden kann, wenn neben den großen 'Leitinstitutionen' v.a. das Phänomen einer sozial wie geographisch sehr breit gestreuten Diffusion des Archivwesens thematisiert wird. Europa wurde auf eine Archivkultur verpflichtet, weil und indem eine Vielzahl von kleinen und mittleren, nicht-staatlichen Archiven entstanden. Eine wesentliche Gruppe derartiger privater Archivbildner war der europäische Adel, und um seine archivhistorische Bedeutung geht es im Projekt. Dabei werden die Rahmenbedingungen und Praktiken adeligen Archivierens einerseits, die Einsatzmöglichkeiten der adeligen Archive im Falle sozialer und juristischer Konflikte andererseits sowie schließlich die intrikate Verbindung von Adel, Genealogie und Archivwesen untersucht. Zu allen Bereichen gibt es von einzelnen Vorarbeiten abgesehen kaum übergreifende Forschung. Durch die Verschränkung der drei Zugriffe wird es dem Projekt erstmals möglich sein, die zentrale und prominente Rolle des Adels für den epochemachenden Aufstieg des Archivs als Institution und des Archivierens als sozialer Praxis deutlich zu machen.
Gehorsam – Eine Geschichte
Dieses Buchprojekt, das bei Princeton University Press unter Vertrag ist, untersucht Konzepte und Praktiken von Gehorsam und gehorsamem Verhalten im vormodernen Europa. Eine Geschichte des Gehorsams zu schreiben, bedeutet einen zentralen Grundwert vormoderner europäischer Gesellschaften zu untersuchen. Der Aufstieg und die Entwicklung der Idee von ‘Gehorsam’ werden ausgehend von ihrem antiken Fundament nachgezeichnet und anhand exemplarischer Wirkungsbereiche die Umsetzung im täglichen Leben analysiert. Dabei stehen neben anderen die Bereiche Familie, Staat, Religion und Militär im Zentrum der Analyse. Ein zentraler Fokus der Untersuchung wird auf der Offenheit und Anpassungsfähigkeit des Konzepts und der Praktik von Gehorsam liegen. Das Projekt soll die Geschichte von Gehorsam nicht (nur) als Macht- oder Herrschaftsgeschichte schreiben, sondern insbesondere die Rekonstruktion der Akteursperspektive während des Gehorchens betonen. Es geht dabei von der Prämisse aus, dass die meisten Personen, während sie obrigkeitlichen Befehlen gehorchten, den Akt des Gehorsams mit einer breiten Bandbreite an persönlichen Gefühlen und pragmatischen Einschätzungen hinsichtlich ihrer eigenen Agenda füllten. Gehorsam zu sein wird dabei als eine Form der Erfahrung sozialen Lebens und sozialer Gemeinschaft begriffen.
Obedience. A History
This project, under contract with Princeton University Press, will investigate the concept and practices of obedience and obedient behavior in pre-modern Europe. Writing a history of obedience means writing the history of a basic value of pre-modern European societies. Starting in antiquity, it will trace the rise and evolution of the idea of >obedience< and will analyze exemplary spheres of daily life regarding its implementation. It will address, among others, the spheres of family, state, religion, and the military. A major point to be made in the project will be the openness and flexibility of both the concept and the practice of obedience. The project will not (only) chart the impact of obedience in relation to structures of power and domination, but will insist particularly on reconstructing the actors’ perspective while being obedient. It starts from the premise that most people, while actually obeying superior commands, filled the act of obedience with a wide range of personal feelings and pragmatic assessments about concerning their own agenda. Being obedient will be studied as a form of experiencing social life and social community.”
Jacob Wilhelm Imhoff (1651-1728) und die Republik der Genealogen
Um 1700 produzierte Jacob Wilhelm Imhoff zahlreiche gut erhaltene und oft zitierte genealogische Werke, in denen er nach und nach den Adel fast aller europäischer Länder erfasste und ihre Genealogien einer wachsenden Leserschaft präsentierte. Imhoff und seine Arbeiten dokumentieren die enorme soziale Bedeutung von Genealogie in der frühneuzeitlichen Welt und heben besonders die wachsende Präsenz genealogischer Informationen auf dem Buchmarkt hervor. Was Imhoff zu einem Ausnahmefall macht, der es wert ist in einer Monographie untersucht zu werden, ist die Tatsache, dass zahlreiche Unterlagen und Briefe überliefert sind, die uns erlauben im Detail den Prozess des Sammelns und Erfassens genealogischer Informationen zu rekonstruieren. Hierauf wird der Fokus des Projekts liegen. Es wird weniger um eine Analyse der sozialen Bedeutung von Genealogie oder genealogischer Strategien einzelner Familien zur Festigung ihres sozialen Status gehen. Vielmehr wird Genealogie in wissensgeschichtlicher Hinsicht als Forschungs- und Rechercheunternehmen untersucht. Es stellt eine Frage, die bisher nahezu komplett in der vielfältigen Literatur über vormoderne Genealogie vernachlässigt wurde: Wie wurde genealogische Information eigentlich produziert und von wem? Ausgehend von Imhoffs Fall werden verschiedene Strategien zur Erlangung und Sicherung genealogischer Informationen erkennbar. Darüber hinaus zeigt dieser Fall auch, wie international das Geschäft mit genealogischen Wissen im frühneuzeitlichen Europa wirklich war.
Jacob Wilhelm Imhoff (1651-1728) and the republic of genealogists
Around 1700, Jacob Wilhelm Imhoff produced several well-received and widely cited genealogical reference works, eventually covering the nobilities of most major European states and presenting their genealogies to a growing reading public. Imhoff and his works document the enormous social importance of genealogy in the early modern world and highlight especially the growing presence of genealogical information on the print-market. What makes Imhoff a peculariar case worthy of monographic study is the fact that he has left vast numbers of papers and correspondence which allow us in detail to investigate the process of collecting and compiling all this genealogical information. This will be the main focus of this project. It is less interested in analyzing the social importance of genealogy or the genealogical strategies of individual families to maintain their social status. It rather studies genealogy as a research enterprise. In doing so, it asks a question that has so far been almost entirely neglected in the burgeoning literature on pre-modern genealogy: How was genealogical information created and by whom? Looking at Imhoff’s case, several strategies for acquiring and vetting genealogical information can be discerned. Moreover, his case shows just how international the business of making genealogical knowledge really was in Early Modern Europe.”