CfP: Workshop „Hungern, Verhungern, Aushungern. Ressourcenentzug als Gewalt 1914-1945"
12. April 2022
Veranstalter: Forschungsgruppe „Gewalt-Zeiten: Temporalitäten von Gewaltunternehmungen“ an der Universität Hamburg, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden
Ort: Hamburg, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg,
Holstenhofweg 85, 22043 Hamburg
Datum: 11.-12. November 2022
Deadline: 31.05.2022
Aushungern war und ist, wie aktuell die russische Belagerung von Mariupol zeigt, eine gängige Gewaltpraxis in sehr vielen Kriegen – und zwar über Epochengrenzen hinweg. Nicht nur bei Blockaden und Belagerungen forderten Entzug oder Vorenthaltung lebenswichtiger Ressourcen Menschenleben. Auch abseits des Kampfgeschehens im engeren Sinne waren Gruppen wie z.B.
Gefangene und Anstalts- und Gefängnisinsassen Opfer dieser Unterversorgung. Für den Zweiten Weltkrieg schätzt die britische Historikerin Lizzie Collingham, dass Hunger Leben von 15 bis 20 Millionen SoldatInnen wie ZivilistInnen forderte.
Dabei wissen wir über den Einsatz von Hunger als Praxis von Gewalt, über seine physischen wie psychischen Auswirkungen für die Opfer vergleichsweise wenig. Auch die Planungen und Entscheidungen von militärischen wie zivilen Verantwortlichen werden schnell, womöglich zu schnell als „Strategien“ verstanden. Zu fragen wäre eher nach Gegen- und Miteinander von Planung, Plötzlichkeiten, situativen Dynamiken und damit nach dem Gesamtprozess des Gewalthandelns unter der – wie der Soziologe Trutz von Trotha es formulierte – „Unvoraussehbarkeit des Krieges“. Denn am Ende steht häufig das Bild einer desaströsen Gewalt, einer unendlichen Leidenszeit für die Opfer – ausgelöst durch kühle Kalkulation auf Seiten der Täter. Aber trifft diese Sichtweise für die Logiken und Dynamiken von Hungern als Gewaltpraxis zu?
Mit Fallbeispielen aus der Zeit der die Unterscheidung von Kombattanten und Zivilbevölkerung auflösenden Weltkriege des 20. Jahrhunderts sowie der Zwischenkriegszeit möchte der Workshop den diversen Formen von Hungerpolitiken als Gewaltform nachgehen, die sich, so unsere Annahme, durch ihre Spezifik von anderen Formen physischer Gewalt unterscheidet. Um dabei die Bedeutung von Kriegen als besonderer Aktionsmacht und Ermöglichungsstruktur physischer Gewalt genauer zu bestimmen, sollen auch die 1920er und 30er Jahre in den Blick genommen werden. Denn bekanntlich führte auch außerhalb von gewaltsamen Konflikten eine Politik, die mit dem Entzug von Ressourcen operierte, zum Massensterben. So kostete die Hungersnot in der Sowjetunion in den 1930er Jahren nach neuestem Stand bis zu neun Millionen Menschenleben, vor allem in den Sowjetrepubliken Ukraine und Kasachstan. Ihre Einstufung im Fall des „Holodomors“ ist bis heute Teil nicht nur historischer, sondern auch politischer
Debatten.
Unser besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage nach der Bedeutung von Zeitlichkeiten, stellt doch eine Spezifik dieser Gewaltformen durch den Entzug von Ressourcen oder deren Vorenthaltung im Vergleich z.B. zu einem direkten Einsatz von Waffen die lange Dauer dar. Im Mittelpunkt sollen daher folgende Fragen an die Fallstudien stehen:
• Welche Ziele verfolgten Gewaltakteure mit den Hungerpolitiken?
• Inwieweit modellierten Temporalitäten, als Erwartungshorizonte, Erfahrungsräume,
aber auch Zeitstrukturen das Handeln von Militärs wie Politikern?
• Wann und wie wurde Hungern als Teil von politischem oder kriegerischem Handeln
„geplant“? Was genau definierte Planen, als Antizipation von Zukünften und
Auswertung von Vergangenheiten?
• Wie veränderten Hungerpolitiken das Leben der Zivilbevölkerung, vor allem mit Blick
auf die raumzeitliche Neustrukturierung ihres Alltages durch den Ausnahmezustand?
• Wie lassen sich Hungerpolitiken als Gewaltphänomene konzeptualisieren, mit ihrem im
Vergleich beispielsweise zu Massakern, aber auch Folter, sehr spezifischen Zeitsetting
von langsamem körperlichem Verfall auf Seiten der Opfer und nervenzehrenden
Rhythmen von Angriff und Warten auf Seiten der Verantwortlichen?
• Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten bestehen zwischen Hungerpolitiken, die in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrieben wurden, und aktuellen Konflikten (Jemen,
Syrien, Ukraine)?
Erwünscht sind Impulsvorträge (max. 20 Min.) aus historischen und benachbarten Disziplinen. Willkommen sind konkrete Fallbeispiele, die übergreifende Fragestellungen behandeln und aktuelle Bezüge herstellen. Der geographische Bezug des Workshops liegt auf dem eurasischen Raum.
Bitte reichen Sie bis zum 31. Mai 2022 ein halbseitiges Abstract Ihres Beitrages (bis zu 3.000 Zeichen) sowie einen kurzen CV ein bei: Dr. Olga Sturkin olga.sturkin"AT"hsu-hh.de
Reise- und Hotelkosten werden im Rahmen der üblichen Erstattungsbedingungen übernommen.
Kontakt:
Prof. Dr. Birthe Kundrus
Sprecherin der LFF-Forschungsgruppe "Gewalt-Zeiten"
Universität Hamburg
Fakultät für Geisteswissenschaften
Fachbereich Geschichte
Arbeitsbereich Deutsche Geschichte
Überseering 35 # 5
22297 Hamburg
Tel.: +49 40 42838-4527
E-Mail: Birthe.Kundrus"AT"uni-hamburg.de
Dr. Olga Sturkin
Helmut-Schmidt-Universität/
Universität der Bundeswehr Hamburg
Holstenhofweg 85
22043 Hamburg
E-Mail: olga.sturkin@hsu-hh.de