Geschichte des Historischen Seminars
Woher wir kommen
Der heutige Fachbereich Geschichte ist älter als die im Mai 1919 eröffnete Hamburger Universität: Bereits Ende 2007 konnte das Historische Seminar seinen dreistelligen Geburtstag feiern, als ihr ältestes geisteswissenschaftliches Institut. Hundert Jahre zuvor, am 11. Dezember 1907, hatte es die „Bürgerschaft“, das Parlament des Stadtstaates, errichtet. Damit sollte die weit zurückreichende, seit der Schließung des Hamburger „Akademischen Gymnasiums“ im Jahre 1883 gefährdete wissenschaftliche Beschäftigung mit der Vergangenheit zukunftsfähig institutionalisiert werden.
Begründet war diese Initiative mit dem öffentlichen Interesse gerade an den historischen Veranstaltungen innerhalb des 1895 von Werner von Melle reformierten „Allgemeinen Vorlesungswesens“ der Hansestadt. Deshalb auch schuf die im Frühjahr 1907 errichtete Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung zusätzlich zur neuen staatlichen gleich noch eine von ihr finanzierte weitere Geschichtsprofessur, die spektakulär besetzt werden konnte.
Für von Melle hatte die Gründung des Historischen Seminars überdies strategische Bedeutung – als ein weiterer Schritt zu der erstrebten Universität. Als die in dieser Frage opponierende Bürgerschaft den Ausbau des „Vorlesungswesens“ blockierte, verlegte sich der „Inaugurator universitatis“ auf das im Herbst 1908 gegründete „Kolonialinstitut“. In seinem Kontext wurde 1914 eine Professur (mit eigenem Seminar) für Geschichte und Kultur Osteuropas bewilligt.
Als die erste demokratisch gewählte Bürgerschaft im März 1919 die Errichtung einer „Hamburgischen Universität“ beschloss, war die Geschichtswissenschaft also bereits mit drei Professuren (für Mittlere, Neuere und Osteuropäische Geschichte) in zwei Seminaren vertreten. Hinzu kam jetzt als viertes Ordinariat in einem weiteren Seminar die Alte Geschichte. An wechselnden Standorten repräsentierten diese drei Einrichtungen während der Weimarer Republik die Hamburger Geschichtswissenschaft. Eine Erweiterung erfuhr vor allem das Historische Seminar: durch Honorarprofessoren und Privatdozenten, intern durch ein Extraordinariat für Kolonial- und Überseegeschichte – Beginn einer Hamburger Besonderheit.
Erste Folge der nationalsozialistischen Diktatur war die Entlassung des Osteuropa-Historikers aus rassistischen Gründen, verbunden mit der Schließung seines Seminars. Der Überseehistoriker, nunmehr Ordinarius auf der Stelle eines vertriebenen Kollegen, betrieb, bald als Rektor, die ideologische und institutionelle Gleichschaltung der Universität. Diese Entwicklung, sowohl auf universitärer als auch auf Seminar-Ebene, ist inzwischen detailliert untersucht worden (vgl. die Literaturhinweise am Ende).
Das Historische Seminar mit seiner Bibliothek wurde 1943 zerstört. Die folgenden Provisorien waren nach einigen Jahren überwunden; die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit blieb auf Jahrzehnte ein Tabu. Zum Winter 1962/63 bezogen das Historische Seminar und das Seminar für Alte Geschichte den gerade fertig gestellten „Philosophenturm“ im Von-Melle-Park, wo sich vor allem das Historische Seminar ständig vergrößerte – Folge einer steten Zunahme studentischer „Nachfrage“, in den 1960er und frühen 1970er Jahren vor allem in den Lehrämtern.
In den 1980er Jahren konnte sich der nunmehrige „Fachbereich Geschichtswissenschaft“ eine eindrucksvolle Binnenstruktur geben: Neben einer mit vier Professuren bestückten Alten Geschichte gab es im Historischen Seminar zwei mittelalterliche Arbeitsbereiche (Früh- und Hoch- sowie Spät-Mittelalter), einen für die Frühe Neuzeit (eine übergreifende Professur, Schwerpunkt 16. und 17. Jh.; eine Schwerpunkt 18. Jh.); einen für Neuere deutsche Geschichte (19. und 20. Jh. sowie Zeitgeschichte; Sozialgeschichte 19. und 20. Jh.; Geschichte nach 1945); einen für Europäische Geschichte (Osteuropa generell, speziell Südosteuropa; Russland und Baltikum; Europäische Integration; Skandinavien); einen weiteren, spezifisch hamburgischen für Außereuropäische Geschichte (Allgemein, besonders Nordamerika; Lateinamerika; Afrika südlich der Sahara; Naher Osten). Eine Fülle von Lehrbeauftragten und „Honorarprofessoren“, vor allem auch aus den außeruniversitären Forschungsinstituten, bereicherte das Lehrangebot.
Ausschließlich politische Vorgaben führten seit Mitte der 1990er Jahre zu einem schmerzlichen Abbau von Stellen und einer entsprechenden Schrumpfung der Ausbildungskapazität. Im Kontext der grundlegenden Umstrukturierung der Universität mit ihrer Rückkehr zu den Fakultäten wurden zum April 2004 das Seminar für Alte Geschichte, ein halbes Jahr darauf die Reste des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in das Historische Seminar integriert. Allen erzwungenen Einsparungen zum Trotz aber gelingt es dem Fachbereich auch weiterhin, die eindrucksvolle Vielfalt seines Angebots in Lehre und Forschung zu bewahren und kontinuierlich zu aktualisieren.
Eckart Krause, März 2015